Interview im “Le Point“ mit Florent Barraco, am 19.10.2019 auf LePoint.fr erschienen.

Europa und Großbritannien haben ein neues Abkommen: Ist das (endlich) das Ende der Seifenoper?

Auf jeden Fall denn es gibt nur eine Alternative zu der beide Wege hinführen. Mit einer Zustimmung im Unterhaus Samstag wird nichts mehr Großbritannien aufhalten die Union am vorgesehenen Zeitpunkt zu verlassen. Mit einer Ablehnung dieses Textes werden die Briten zur Wahl gehen und Boris Johnson hat gute Chancen als Gewinner hervorzukommen, da außer den Liberaldemokraten und den schottischen Separatisten, Befürworter des Verbleibs in der Union, haben seine Gegner ihm nur verworrene Vorschläge entgegenzusetzen. Wenn man wetten müsste, dann würde ich für das Ende der Seifenoper wetten und ich tue das mit leid, da die Union ohne Großbritannien eine amputierte Union ist.

Wie beurteilen sie die Haltung Europas (effiziente Verhandlungsweise oder Schwäche gegenüber May und dann Johnson) in dieser ganzen Geschichte?

Hier, keine Traurigkeit, im Gegenteil. Die Union ist vollkommen verschweißt geblieben trotz der politischen Vielfältigkeit der Regierungen. Wir haben alle verstanden, von Anfang an, dass man den Willen der Bevölkerung, der im Referendum zum Ausdruck kam nicht widersprechen konnte. Zur gleichen Zeit konnten wir auch nicht einen Abbau der Union durch die Erpressungen eines besonderen Statuts erlauben. den Erpressungen eines besonderen Statuts und einem Abbau der Union preisgeben. Wir haben uns entgegengesetzt und das bedeutet, dass selbst in den Hauptstädten wo man ‘‘Brüssel‘‘ gerne angeht, selbst die Herren Orban und Kaczynski sahen ein, dass in der globalen Anarchie und im Handelskrieg, der uns mehr als jeher bedroht, das wir da Einigkeit brauchen, die unsere Kraft und unser Schild ist.

Was ist ihre Ansicht der Verhandlungen, des Scheiterns, der Halberfolge, der Fortschritte, der Rückschritte in den letzten drei Jahren?

Die große Lehre hier ist, dass die britische Debatte über den Brexit erst nach dem Referendum stattgefunden hat. Davor waren es nur Lügen und leere Versprechungen und als das Resultat da war, waren die Brexiteers leise, ihren Zuhörern plötzlich gegenüber verstummt, weil sie nicht in der Lage waren Antworten für die richtigen Fragen zu haben. Was sollte man mit den zwei Staaten Irlands machen? Aber auch, welche Beziehung sollte Großbritannien, oder überhaupt, mit dem EU Binnenmarkt behalten?

Es war weil diese Fragen vor dem Referendum nicht debattiert wurden, dass das Land in solch eine Verwirrung verfallen ist, dass diese zwei großen Parteien, die Säulen der britischen Demokratie sich geteilt haben, dass das Unterhaus damit lahmgelegt wurde und dass Freundeskreise und Familien zerrissen wurden.

Man redet sehr schlecht von repräsentativer Demokratie, aber Referendums – das war die Konzeption De Gaulles – sollte nur dazu dienen einen Vorschlag, nach einer wahren Debatte, allumfassend zu bestätigen (oder zu verweigern).

Emmanuel Macron hat einen Rückschlag auf der Europäischen Ebene mit der Ablehnung Sylvie Goulard’s erfahren. War das nicht voraussehbar?

Im Nachhinein ist immer alles voraussehbar, sogar die Entdeckung Amerikas. Also Nein, es war nicht so voraussehbar, da es eine allumfassende Vereinbarung gab zwischen den Mitgliedsstaaten zur Verteilung der Verantwortungsbereiche in den Europäischen Institutionen und die Festlegung der Portfolios der Kommission, insbesondere Frankreichs.

Emmanuel Macron konnte sich also sicher fühlen, aber die Randgeschichte und die Hauptgeschichte trafen sich plötzlich in den Gängen des Parlaments und diesem explosiven Cocktail fiel Sylvie Goulard zum Opfer. Die Hauptgeschichte ist, dass durch Trumps Infragestellung der NATO Allianz, seine Verbreitung des Chaos auf internationaler Ebene und seiner Beschuldigung des Handelskrieges der Union gegen die Vereinigten Staaten, hat er die Europäer der Stichhaltigkeit der drei großen europäischen Ideen, die Frankreich seit 1960 vertritt, überzeugt.

Es ist seit mehr als einem halben Jahrhundert der Fall, dass alle französischen Führungskräfte für eine gemeinsame Verteidigung, eine Industriepolitik die auf gemeinsame Investitionen für die Zukunft beruht und die Behauptung eines ‘‘Machteuropas‘‘ als unabhängiger Akteur auf der internationalen Szene, plädieren.

Bis November 2016, wurden diese drei Ideen im Einklang von allen unserer Partner belächelt, die Deutschen als erstes. Doch nach der Wahl Donald Trumps hat sich das Blatt gewendet. Niemand lehnt es mehr ab. Sie sind auf dem Tisch. Sie sind Teil des politischen Programms einer Union die keine andere Wahl hat. Daher fühlen sich einige unserer Partner unwohl, manche erleiden sogar Schwindelgefühle bezüglich einer politischen Priorität Frankreichs an der Sie, als Konsequenz, nichts beitragen wollen.

Das war es zur Hauptgeschichte und die Randgeschichte ist, dass die Briten uns verlassen, dass Frau Merkel auf dem Aufbruch ist, dass die deutsche Wirtschaft nicht die ist, die sie in den letzten Jahren war, dass Spanien und Italien in völligem Durcheinander sind, dass der Elysee Palast den Amtsantritts zur Spitze der Kommission Manfred Webers blockiert hat, der deutsche Fraktionsführer der Europaschen Konservativen, und, dass der französische Präsident als der am wenigsten schwächste der Europäischen Führungskräfte dastand. Immer auf dem Sprung, ärgert Macron umso mehr da es die Europäisierung der Französischen Ideen ist. Frankreich nimmt zu viel Platz ein und Sylvie Goulard hat den Preis dafür bezahlt, dazu kommt noch, dass niemand ihre Kompetenzen hierfür in Frage stellte und was ihr vorgeworfen wurde, war nicht so schlimm, weit von dem.

Hat ihre Fraktion nicht den Präsidenten vorgewarnt, dass es ein Risiko sei jemanden vorzuschlagen der bereits als Minister zurücktreten müsste?

Weil es eine Kreuzung für die Mitgliedsstaaten ist und dass die Abgeordneten oftmals sehr originelle und unabhängige Personalitäten sind, spiegelt das Parlament sehr Gut den Zeitgeist wider. Es ist also sehr sensibel gegenüber ethischen Fragen geworden und will sich in diesem Bereich nichts vorwerfen lassen. Also ja, nostra culpa.

Welchen Auswirkungen kann diese Ablehnung auf dem Einfluss Frankreichs in Europa haben? hat die Ausrede und Beschuldigung Ursula von der Leyens nicht Macron’s Ansehen getrübt?

Alles vergeht, selbst die Affäre Goulard ist kein Drama. Zum Präsidenten: Er hat nicht Ursula von der Leyen beschuldigt, sondern nur alle unsere Partner daran erinnert, dass man, wenn man Kompromisse eingeht, man sie auch respektieren muss. Das war nicht der Fall, weil die Partei Angela Merkels sich auf Grund ihrer Nachfolge spaltet und sie daher nicht die EVP unter Kontrolle hat. Diese große Partei der europäischen Rechten, der Sie lange Zeit unbestrittener Leader war.

Muss sich Frankreich für Michel Barnier einsetzen?

Er ist im Parlament sowie in der Kommission sehr respektiert. Ich habe die größte Achtung vor ihm. Das wäre eine ausgezeichnete Wahl, aber Frankreich ist sehr reich an Talenten und der Präsident der Republik hat noch einige Asse im Ärmel: Jean Pisani-Ferry, vor allem, der brillante Ökonom der Teil seiner ersten Befürworter war.

Hat Europa sich Erdogan gegenüber zu schwach gezeigt nach seiner Intervention in Syrien?

Um stark gegenüber jedem zu sein, und man müsste es gegenüber Herrn Erdogan sein, muss die Union eine politische Macht werden. Das ist nicht immer der Fall, obwohl diese Offensichtlichkeit, ich sagte es Ihnen, endlich von unseren Partnern angenommen wurde.

Was wären die Sanktionen die man einleiten sollte? Gegenüber der Erpressung Erdogans im Bereich der Migrationspolitik, hat die EU hier wirklich Handlungsspielraum?

Wir haben Handlungsspielraum, da die türkische Wirtschaft nicht in ihrer besten Form ist. Man muss sich auch vor Augen halten, dass nicht alle Migranten in der Türkei davon träumen ihr Leben für eine unsichere Zukunft aufs Spiel zu setzen. Nein das Problem stellt sich so nicht und bevor wir aufdrehen, sollten wir einsehen, dass Recep Erdogan nicht mehr so populär ist wie einst, dass er Istanbul und Ankara verloren hat, dass seine Partei sich spaltet und dass er hier versucht einen Reflex eines nationalen Zusammenschlusses zu provozieren.

Wir müssen also gut überlegen wie wir fortschreiten, weil wir nicht riskieren können diesen Mann in seiner innenpolitischen Szene zu verstärken und wir sollten nicht vergessen, dass es nichts Unendliches gibt und, dass wir Verbindungen zur Türkei haben, die er sicherlich überleben wird.

Wie schätzen Sie die Haltung Macrons gegenüber Erdogan ein?

Frankreich hat gesagt was Sie zu sagen hatte und für den Rest, gibt es noch drei Fragen: Haben wir die militärischen Mittel, um die Kurden zu beschützen, wenn unsere Truppen bereits an so vielen Fronten eingesetzt sind? Welcher Teil der französischen Gesellschaft und ihrer Abgeordneten würde so einer Verpflichtung zustimmen? Und wären wir bereit eins oder mehrere Kurdistans zu errichten?

Man muss aufhören zu denken, dass Frankreich immer noch das Frankreich Louis des Vierzehnten, Bonapartes oder das, das sich den Nahen Osten mit Großbritannien aufteilt, ist. Wenn wir wirklich in der Welt etwas zählen wollen, dann kann das nur durch ein Machteuropa geschehen.

Was ist die Bilanz aus ihrer neuen politischen Tätigkeit?

Aber ich habe doch erst drei Monate meines Mandats hinter mir! I habe noch viel zu sehen und zu lernen, denn obwohl man die Politik kennt, und das seit langem, ist es überhaupt nicht dasselbe auf der Kehrseite der Medaille zu wechseln und die Politik zu leben, vom Inneren. Was soll ich ihnen sagen?

Mich hat dieses Blut auf den Mundwinkeln der Abgeordneten bei der letzten Anhörung Goulards angewidert. Ich liebe die Natürlichkeit und Leichtigkeit mit der man sich im Europaparlament auch mit Abgeordneten von anderen Fraktionen austauschen und bereichern kann. Es faszinierend für mich zu sehen, auch wenn nur in Schattierungen, dass es zwei Parteien in diesem Parlament gibt. Eine Republikanische Partei mit immer deutlicheren Brücken zwischen den Konservativen und ein großer Teil der neuen extreme Rechten sowie eine demokratische Partei die von linken Utopisten zu den Liberalen reicht und auf dem wegen die Sozialdemokraten und Grünen einschließt. Ich möchte auch beifügen, dass, sowohl in Sitzungen als auch in den Ausschüssen, Europa eine Nation ist mit denselben Kulturen, Traditionen und politischen Grenzen von einem Land zum anderen. Das dachte ich mir immer. Ich habe diese Idee immer verteidigt, aber jetzt sehe ich sie mit meinen eigenen Augen.

Der Keynesianer in mir ist auch froh zu hören, dass, gegen die Dringlichkeit des Klimawandels und die technologischen Herausforderungen Chinas und der Vereinigten Staaten, sich die Notwendigkeit einer öffentlichen Macht in Europa Schritt für Schritt einstellt, im Wirtschaftsbereich wie in der Politik. Ich bin nicht unglücklich, dass die wirtschaftlichen Unsicherheiten der Deutschen auf weniger ‘‘schwarze Null‘‘ hinwirken. Dieses Parlament kocht nur so von Ideen auf. Man hat nicht den Eindruck von Idioten umgeben zu sein und das ist so beruhigend wie stimulierend.

Ist ein Europaabgeordneter wirklich zu etwas nütze? 

Vielen Dank für die Frage. Zur Antwort: Wenn das französische Parlament die Ministerkandidaten mit solcher Gründlichkeit befragen würde wie das Europäische Parlament seine Kandidaten für ein Kommissionsportfolio, dann hätten die Franzosen sicher mehr Vertrauen in ihre Abgeordneten.

Die Kommission und die Mitgliedsstaaten müssen heute mit dem Parlament zählen, mit einer gewählten Repräsentanz, direkt gewählt von allen Bürgern der Union. Es ist nunmehr dort, wo sich die Union behauptet und Selbstbewusstsein ergreift. Der Tag – er wird kommen, er kommt bereits – wo das Parlament das Initiativrecht der Europäischen Gesetzgebung erhalten wird und Gut……wir waren nicht vollkommen unnütz.

Betrachten Sie sich noch als Journalist?  

Nein! Ich betrachte mich nicht als Journalist. Ich bin Journalist. Ich bin es seit meiner Studentenzeitung, ich bin es seit ich wusste, als kleines Kind, dass ich Journalist werden wollte. Ich bin es seitdem ich mit zwanzig, zur gleichen Zeit wie Franz-Olivier Giesbert, zum Observateur kam. Ich bin seit immer Journalist und ich bin nur Journalist, weil Journalismus mein Metier ist, das einzige, da Abgeordneter zu sein eine Funktion ist. Ich werde nicht als Abgeordneter sterben sondern als Journalist und ich hätte gerne, dass man aufhören würde so zu tun als ob man von dieser Offensichtlichkeit erstaunt ist.

Ist Herr Villani ein Ex-mathematiker seit dem er in der Assemblee Nationale sitzt? Hören ein Arzt, ein Wissenschaftler, ein Anwalt, ein Ingenieur, ein Betriebsleiter, ein Lehrer auf das zu sein, wenn Sie gewählt werden oder trägt man seine Arbeitserfahrung zur nationalen Vertretung bei?

Ich glaube die Antwort ist in der Frage enthalten, aber erlauben Sie mir noch ein Wort. Ich war immer ein engagierter Journalist. Ich war klarer Gegner des Kommunismus und auf der Seite der Opposition bis zur Implosion der Sowjetunion. Ich bin klar pro-europäisch seit 1989. Diese Standpunkte habe ich immer kompromisslos verteidigt und mich dabei nie versteckt. Ohne mich mit Ihnen vergleichen zu wollen, aber darf ich Sie daran erinnern, dass es in der Geschichte große Abgeordnete gab die große Journalisten waren?

Eric Zemmour scheint zwischen zwei Ufern zu schwimmen: in der öffentlichen Debatte und in der Debatte der Ideen, aber nicht vollkommen in der Politik verankert. Muss er, wie Sie, seine Position erläutern?

Den einzigen Ratschlag den ich Herrn Zemmour geben kann ist, dass er darüber nachdenken sollte was er sagt.

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