Artikel erschienen im Nouvel Observateur am 07.11.2019

,,Na und?’’ sagte ich ihr. Vielleicht etwas verwundert, jedoch auch richtig, denn…Ich erzähle es euch. Ich hatte um das Telefonat am vorigen Tag gebeten. Ich hatte es um 7 Uhr morgens angefragt, die Zeit an der unsere Stenographen zur Redaktion von Le Monde kamen. Meine Freundin mit der rauen Stimme nahm ab. ,‚Los geht’s, das muss schnell gehen‘‘, sagte ich ihr ,‚ich habe zehn Seiten für Sie‘‘. Stille, peinliche Stille auf der anderen Seite der Leitung: ,‚Bernard, das würde mich wundern, wenn Sie das annehmen werden‘‘ ,‚Und wieso nicht?‘‘ ,,Wissen Sie es nicht?‘‘ ,,Was weiß ich nicht?‘‘ Die Mauer ist über Nacht gefallen.

,,Na und?’’ sagte ich ihr, bevor mir einfiel was ich sagte und ich auflachen musste. Ich packte meine Scoops zur armenische Sezession wieder ein und ließ Yerevan hinter mir um den ersten Flug nach Moskau zu nehmen. Es gab keine CNN, kein Internet, keine Mobiltelefone und nicht einmal ein Festnetz um direkt ins Ausland anzurufen. Ich konnte mir die Freude Zentraleuropas nach mehr als 40 Jahren sowjetische Besetzung nur gut vorstellen. Ich dachte nachts an die Proklamation des ‘‘Kriegszustandes‘‘ in Polen nach, sowie an alle meine Freunde die vor mir festgenommen wurden, die Angst der Rumänen, die Trauer der Tsechoslowaken, der abgemagerte Boukovski, der am Flughafen von Zürich für Louis Corvalan, den Chef der Kommunistischen Partei Chiles, eingetauscht wurde. Es war fertig, endlich fertig, und ich dachte an all die Momente des Kampfes in der ich mich eingesetzt hatte, erst als Journalist beim ‘‘Obs‘‘ und danach als Korrespondent des ‘‘Le Monde‘‘. Ich hatte daran gedacht, gegen die Einsicht fast aller Experten. Gegen alle Sicherheiten der Epoche, hatte die Freiheit gewonnen. Ich war gerührt, aufgerüttelt, aber hörte nicht auf mich zu fragen: ,,Na und?‘‘.

Ja, ‘’Na und?’’, denn die Mauer fiel doch nicht so schnell. Die ersten Risse hatte sich im vorigen Frühling schon aufgetan und Gorbachev war damals erst seit einem Jahr im Amt und hatte, seit November 1985, die Führungskräfte der populären Demokratien schon vorgewarnt, dass sie nicht mehr auf die Sowjetunion zählen konnten um an der Macht zu bleiben. Sie mussten sich öffnen, Dialoge führen, reformieren, selbst anfangen was Moskau bereits begonnen hatte. Das wurde sich unter Ausschluss der Öffentlichkeit bereits auf einem Gipfel des Warschauer Paktes gesagt, die NATO des kommunistischen Blocks. Aber das wurde danach auch vor der Generalversammlung der UNO, dem Europäischem Rat oder zwischen jugoslawischen Führungskräften erwähnt. Das waren Äußerungen, genauso klar und deutlich, gegen den Einsatz von Kraft und der Respekt der Charta der UNO und die Abkommen von Helsinki.

Die polnische, ungarische und tschechoslowakische Führung hatten die Nachricht bekommen und die Polen hatten Sie sogar applaudiert.

‘‘Eine Revolution‘‘ wurde in Moskau vorbereitet, hatte mir die rechte Hand des Generals Jaruzelski erzählt,

Kriegszustand oder nicht, sein Land hatte sich niemals normalisiert. In Bucharest und Ostberlin hingegen wollte Honecker und Ceausescu davon nichts hören. Die Zähne zusammenbeißend warteten Sie auf den Fall Gorbachevs und diese Teilung der sterbenden sowjetischen Front, die seit Januar 1989 unausweichlich war.

Elf Monate vor dem Mauerfall, elf Monate bevor die Ostdeutschen Führungskräfte sich davon überzeugen ließen die Transitpunkte zu öffnen, hatte sich die ungarische Partei auf die Parteivielfältigkeit eingelassen. Macht und Opposition in Polen hatten ihre ‘‘Gesprächsrunden‘‘ einen Monat später geöffnet und Tadeusz Mazowiecki war im vorigem August der erste Premierminister eines nichtkommunistischen Staates des Sowjetischen Blocks geworden. 

Fast menschenleer und so unschön, breiteten sich die Straßen Yerevans vor mir aus ohne dass ich ein einziges Cafe finden könnte. Ich drehte mich um und ging zum Hotel. Dank der westlichen Radios, waren Kunden und Arbeitnehmer auf dem laufenden, aber ihnen interessierte diese Berliner Mauer nicht, denn es lag nun an Ihnen, Ihrer Mitgliedschaft in der Sowjetunion, der es jetzt galt den Rücken zuzukehren. In Yerevan, diesen zehnten November, sah ich das russische Reich sich entflechten, das des Tsars, das die Sowjetunion bewahrt hatte. In den Gesichtsausdrücken, in den Gemühten, in den erhörten Lachen, waren wir bereits in der nächsten Etappe. Diese Etappe hatte bereits in den baltischen Staaten begonnen und nahm gerade im Kaukasus zu, aber für den Rest der Welt, zwangsläufig, fand das Ereignis in Berlin statt: Mit diesen unkontrollierbaren Verrückten die nach Westen überkamen, besoffen vor Freude, die bestürzt opulente Vitrinen, Supermärkte, Terrassen und diese Jugend Westberlins, avantgardistischer als alles in Kalifornien und darüber hinaus linksextrem in einer sozialdemokratischen Stadt, vorfanden.

Diese Bilder, ich sah Sie als ich nach Moskau kam und ich weinte voller Freude. Ich habe mir die Bilder vor Augen gehalten bis sehr spät wurde, aber eine innere Stimme sagte mir: ,,Na und?‘‘, denn alles ging so schnell, nicht zu schnell für diesen grandiosen Moment, den ich lange erwartet hatte, aber zu schnell, denn hingegen….

Weil wir bestimmte Daten brauchen. Die Geschichte sagt, dass die Mauer am 9 November 1989 fiel, aber es war bereits im Mai als Ungarn mit Heckenscheren ihre Drahtzäune und somit ihre österreichische Grenze öffnete und alles füllte sich mit Horden von Ostdeutschen die die Botschaften der BRD in Budapest, Prag und Warschau besetzten. Die Verhandlungen für ihre Evakuierung zum Westen begannen und bald wurden zu diesem Zwecke besondere Züge bereitgestellt. Es ist seit dem Frühling, dass es keine Mauer mehr gab und der Block seine Waffen, ohne Gegenpartie, zurückgegeben hatte sowie vor den Feierlichkeiten des vierzigsten Bestehen der DDR und viele hundert tausende Demonstranten unter der Nase Honneckers und Gorbachev entgegen schrien: ,,Gorby! Hilf uns! Gorby ! Hilf uns ! ‘‘

Diesen Abend, auf der Tribüne, lehnte sich Mieczyslaw Rakowski, der letzte Generalsekretär der Polnische Vereinigte Arbeiterpartei PVAP, der kommunistischen Partei Polens, zu Mikhaïl Gorbatchev’s Ohr rüber um zu fragen:

,,Verstehen Sie, dass es das Ende ist ?‘‘

Man weiß es nicht, jedenfalls ich weiß es nicht, was Mikhaïl Sergueïevitch ihm antwortete, aber es war klar, dass er es wusste, er wusste es seit der ungarischen Lücke des Frühlings, er zweifelte seit mehr als längerer Zeit und hatte die Hypothese von Anfang an akzeptiert, denn sein Ziel war es nicht den Kommunismus zu retten, den er als tot erachtete, sondern Russland vom Einsturz des Kommunismus und dem Zerfall des sowjetischen Blocks, zu bewahren.

Wenn er von uns gehen wird, wird Gorbatchev weiter als ein Dummkopf dargestellt werden, der von den Ereignissen eingeholt wurde, die er selbst ausgelöst hatte ohne die Dynamik vorauszusehen. Die Debatte ist noch lange nicht zu Ende, aber der Mann, den ich regieren habe sehen und so gut danach kennenlernte, hatte mir nichts von einem Küchenlehrling: ‚, Regieren, ist fünf Schritte voraus zu sein‘‘ liebte er zu sagen, als er die Führungskräfte des G7, 1991 in London, vorwarnte, dass er nicht mehr an ihrem nächsten Treffen an der Macht wäre, falls Sie ihm nicht helfen würden die Läden zu füllen. Und er lag nicht falsch.

Er war es der die sowjetische Großburg von ihrem Burgverlies eingenommen hatte, vom inneren, in dem er Lenin stürzte und den demokratischen Zentralismus gegen den Apparat kehrte, wusste ganz genau was er riskierte, aber er wusste auch, dass er keine Wahl hatte. Entweder er schaffte es eine friedliche Transition hin zu einer Demokratie und Marktwirtschaft zu organisieren oder alles würde in einem blutigem Chaos, das er nicht wollte, enden.

Seine Besessenheit war es einen Bürgerkrieg zu verhindern und die Sowjetunion in eine Marktwirtschaft voller souveräner Staaten zu verwandeln.

Weil ich kein Revolutionär, sondern Reformist, bin, weil Turgot lieber als Terror mag, habe ich diesem Versuch zugestimmt, aber, von Yerevan zurückkommend, sah ich den Block entflechtet ohne das der Kontinent Europas neues Basen gefunden hatte. Da ich die Sowjetunion verurteilt sah, dachte ich das war’s…das Gorby bald überhaupt nichts mehr kontrollieren würde.

Nein, ich wusste nicht was aber, in dieser generellen Freude, in dieser Freude, die meine war, hatte ich so Angst vor einer globalen Anarchie, dass ich mich davon überzeugte, dass nur die Einigkeit der europäischen Demokratien der Welt eine Verankerung bieten konnte, die Sie so notwendig hatte. Vor dieser ‘‘unbestimmten Zukunft‘‘ wie es einer meiner russischen Freunde sagte, frage ich mich nicht mehr ‚‚Na und? ‘‘ sondern ‚‚Was jetzt?‘‘ und betete, dass Gorbachev lange genug durchhielt um zu gründen, was er das europäische ‘‘gemeinschaftliche Haus‘‘ nannte, also die Kooperation der zwei gemeinsamen Märkte, also die Roms und seinen.

Das war natürlich nicht der Fall. Ein Monat nach dem der G7 Londons sich geweigert hatte ihm zu helfen, versuchte ein Quarteron von Konservativen Gorbachevs Rücktritt zu erzwingen. Er weigert sich obwohl er in einer Villa festsitzt und den Tod mit seiner ganzen Familie riskiert. Er kommt nach Moskau zurück aber der Präsident der Russischen Föderation, Boris Yeltsin, hat diesen missglückten Staatsstreich in die Hand genommen und wird die Sowjetunion per Dekret auflösen um Gorbachev vom Kreml zu verjagen und seinen Platz einzunehmen.

Globale Anarchie, soweit sind wir, aber Fall der Mauer? Wer hatte Sie zu Fall gebracht? Wer hatte den Kommunismus bezwungen?

Auch diese Debatte wird nie enden, aber es gibt nichts was mehr verwirrt als die berauschenden Bilder des 9. Novembers.

Sie sagen, dass es diese Menschenmengen und diese Freude waren, die sieben Dekaden Sowjetischen Reiches zu Ende gebracht haben. In Wahrheit ist der Kommunismus selbst verdorben und das mit dem guten Grund, und das sagt die ganze Geschichte, dass er nicht zukunftsfähig war.

Die Geschichte des Kommunismus beginnt mit einer maßlosen Überschätzung, in 1921, mit der NEP, der Neuen Ökonomischen Politik (NEP). Um den Bankrott zu vermeiden, gibt Lenin der Marktwirtschaft Platz und 1928 hat der Markt so viel Bedeutung übernommen und seine Sektoren haben so viel Gewicht, dass Stalin plötzlich dem ein Ende bereitet. Mord und Deportation, das ist der Beginn einer langen Dekade voller Gräuel, der die Sowjetunion blutlos und entwaffnet der deutschen Armee überlässt. Ohne den Appell an den Patriotismus und an die Kirche, ohne die Allianz mit Großbritannien und den Vereinigten Staaten, wäre es mit der Sowjetunion zu Ende gewesen. Kraft gab der Sowjetunion 1944 ihr Sieg, die Wiederaufnahme der Massenunterdrückung und die Absorption Zentraleuropas. Von außen gesehen strahlt die Sowjetunion. Von innen gesehen erstickt Sie sodass das Politbüro nicht mehr kann sodass nach dem Tode Stalins, der XX Kongress sich öffnet und die ‘‘Auftauung‘‘ beginnt. Eine Generation hat daran geglaubt aber der Apparat bekommt so Angst das Khrouchtchev zum Vorteil einer brejnever Stagnation entlassen wird: keine Liberalisierung und keine Wiederkehr zum Terror und nach zwei Dekaden Stehversuch endlich Gorbachev aufzwingt, der jüngste der Direktion der insgeheim davon überzeugt ist, dass das Regime zusammenbricht.

Es war der Kommunismus, der den Kommunismus tötete, aber seine Agonie wäre länger gewesen ohne die Sozialdemokratie und die Dissidenz. Wohlfahrtsstaat in Europa und Welfare in den Vereinigten Staaten, es ist die soziale Absicherung die unsere Marktwirtschaft so beneidenswert und derartig höher als den Kommunismus gemacht hat. Wohingegen der Mut der Dissidenten, die oftmals vom Kommunismus oder der christlichen Linken kamen, die die Herausforderung der Freiheit gegen die einzigen Parteien initiierten. Menschenrechte und soziale Absicherung, Keynes und Voltaire, die Aufklärung und die Sozialdemokratie hatten sich alliiert um den Kommunismus in den Tod zu stürzen und zu erlauben das endlich, am 9 November, die Mauer weg war.

Print Friendly, PDF & Email

English Français Magyar Polski