Das kann zu Kriegen führen, auch wenn sie nicht bereit dafür ist. Das kann sie so weit spalten, dass sie auseinanderbricht. Umgekehrt könnte das sie auch dazu führen ihre Reihen zu schließen und sich endlich zu der politischen Macht entwickeln, von der sie noch so weit entfernt ist. Man weiss es nicht. Es ist noch viel zu früh, um dies zu sagen, aber Tatsache ist, dass die Europäische Union heute durch alles gezwungen ist, ein Akteur auf der internationalen Bühne zu werden.

Nehmen wir den Libanon. Lange Zeit war er das Kind Frankreichs, das erst vor einem Jahrhundert seine Grenzen gezogen hatte und von dem es der nahöstliche Zweig geblieben war, und plötzlich…explodiert der Hafen von Beirut. Diese Tragödie kommt zu dem massiven Zustrom syrischer Flüchtlinge, dem Zusammenbruch der Banken, die den Libanon einst in eine Art Schweiz verwandelt hatten, dem Absturz des libanesischen Pfunds und der massiven Ablehnung eines gemeinschaftlichen politischen Systems, das zu einer Zunahme räuberischer Mafias geführt hat, hinzu. Der Libanon befindet sich in Agonie, aber obwohl der französische Präsident als erster an sein Bett eilte, ist dieses Patchwork aus allen christlichen und muslimischen Glaubensrichtungen nun das Problem Europas.

In Beirut setzt die Union ihre Glaubwürdigkeit auf den anderen Ufern des Mittelmeers aufs Spiel, denn wenn sie nicht die Wiedergeburt eines Landes mit weniger als sechs Millionen Einwohnern, mit einem so hohen kulturellen Niveau und einer so glänzenden Diaspora begleiten könnte, wer würde dann glauben, dass sie auch wenn wenig zur Lösung der syrischen, libyschen, palästinensischen, jemenitischen oder bald auch algerischen Krise beitragen kann? In dem wachsenden Chaos im Maghreb und im Maschrik spielt Europa um ihre Sicherheit. Die Vereinigten Staaten sind nicht mehr da, um sie zu schützen. Entweder wird es in der Einheit seiner Mitgliedstaaten sich dem trotzen können, oder sie muss sich mit Migrationswellen auseinandersetzen, die ihr politisches Schachbrett durcheinander bringen und China und Russland einen Steinwurf von ihren Küsten entfernt in Ländern Wurzeln pflanzen lassen, in denen Frankreich und Großbritannien unumgänglich waren.

Im Libanon ist Frankreich nur noch der unverzichtbare Wegbereiter für eine Union, die nun gezwungen ist, eine Mittelmeerpolitik zu entwickeln und sich gleichzeitig, ob sie will oder nicht, an allen Brennpunkten der Welt durchzusetzen. Dies gilt für die Sahelzone, wo Frankreich nicht mehr über die Mittel verfügt, eine Bedrohung, die sich bald auf die gesamte Union ausweiten könnte, allein zu bekämpfen. Dies gilt umso mehr angesichts Chinas, dessen Brutalität so gross wird, dass selbst Berlin im Gleichklang mit den anderen europäischen Hauptstädten ihre Haltung ihr gegenüber verhärtet. Das gilt auch für die Krise in Belarus, wo sich die 27 nicht den Luxus leisten können, sich zu spalten, denn nur gemeinsam werden sie in der Lage sein, Putin und Lukaschenko einen Kompromiss mit der Opposition aufzuzwingen und so ein zweites ukrainisches Szenario zu vermeiden. Natürlich gilt für Russland, dass nur eine starke und geeinte Union in der Lage sein wird, die Wahl zwischen Zusammenarbeit und Konfrontation einzufordern. Und nicht weniger trifft dies auf die Vereinigten Staaten zu, von denen die Europäer eine Bekräftigung der transatlantischen Solidarität und damit ihre Neudefinition fordern müssen.

Biden oder Trump, in Europa ebenso wenig wie im Nahen Osten, gibt es keine amerikanischen Gendarmen oder Schirme mehr. Es gibt auch keine Region der Welt, in der die Mittelmächte nicht mehr mit Waffengewalt und vollendeten Tatsachen regionales oder gar globales Gewicht finden oder zurückgewinnen wollen. Kurz gesagt, in den internationalen Beziehungen weichen Recht und Multilateralismus einer Rückkehr zum Gleichgewicht der Kräfte, und die Europäer können daher nicht anderes tun, als ihre Union mit einer gemeinsamen Verteidigung auszustatten und sie zu einer politischen Macht zu machen.

Werden sie Erfolg haben?

Durch die Notwendigkeit gedrungen, ist dies nicht mehr auszuschließen. Untereinander wird diese Verpflichtung ohnehin nicht mehr viel diskutiert, aber die großen und kleinen Staaten der Union müssen erst noch lernen, sich gegenseitig zu ergänzen. Die Großen müssen endlich zugeben, dass sie nicht mehr so tun können, als seien sie die Einzigen, die zu entscheiden haben. Die Großen müssen akzeptieren, dass es nur noch einen Tisch geben wird und nicht mehr ihren und den der Kinder, aber die Kleinen müssen sich ihrerseits damit abfinden, dass die Großen per Delegation der bewaffnete Arm der Union sein können, weil sie die Mittel haben, dies zu sein, und viel mehr Möglichkeiten als Lettland oder sogar Polen, sich in Moskau, Washington, Peking oder Teheran Gehör zu verschaffen. Letztendlich wird die Union sich selbst föderalisieren oder auflösen, aber solange sie nicht föderalistisch ist, hätte sie nichts zu gewinnen, wenn sie sich des Gewichts der mächtigsten ihrer Mitglieder berauben würde.

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