Dies ist der Beginn einer neuen Phase. Es geschah am Samstag in Minsk, als der belarussische Präsident das Gefängnis seines Geheimdienstes besuchte um dort mit Oppositionellen zusammenzutreffen, die dort seit Wochen oder Monaten festgehalten wurden, aber wie sollen wir diese Szene interpretieren?

Die erste Hypothese ist, dass Alexander Lukaschenko sich durch die Hartnäckigkeit des Protests so geschwächt fühlt, dass er sich deshalb am Samstag entschlossen hat, mit seinen Gegnern ins Gespräch zu kommen. Tatsache ist, dass ihm u.a. ein Führer des „Koordinierungsrates“ gegenüberstand, der Rat, den die Opposition diesen Sommer ins Leben gerufen hatte, und vor allem Viktor Babaryko, der Mann, der sich bei den Präsidentschaftswahlen vom 9. August als sein Hauptkonkurrent behauptet hatte, den er aber im Juni aus Angst vor einem Wahlsieg verhaftet hatte.

Mit der „alten Opposition“ und der neuen, die aus den Straßendemonstrationen gegen die Fälschung der Wahlergebnisse hervorging, sah es sehr nach der Eröffnung von Verhandlungen aus, aber bei diesem Treffen hatte nur Alexander Lukaschenko Zeit und Ort bestimmt. Oberwärter, er war der Herr der Lage. Die anderen waren nur Häftlinge auf dem Weg zurück in ihre Zellen, so dass wir diese Szene ganz anders lesen können.

Selbsternannt-wiedergewählt, fühlt sich der scheidende Präsident im Gegenteil jetzt stark genug, um seinen Gefangenen zu sagen, dass sie nur seinen Vorschlag für eine Verfassungsreform akzeptieren müssten, dass sie auf diese Weise eine Rolle finden und ihre Freiheit wiedererlangen könnten und dass es für sie jetzt gilt: annehmen oder nichts.

Der Austausch dauerte viereinhalb Stunden, sagte der Präsident, aber welche Lektüre sollen wir wählen?

Antwort: eine dritte, die aus den ersten beiden gleichzeitig besteht, denn Tatsache ist zunächst einmal, dass die Straßenproteste andauern, aber unter der Gewalt der Repression nachlassen. Alexander Lukaschenko schafft es in diesem Sinne zu überleben, aber er kann die Kontrolle in einem Land, das ihn ablehnt und dessen Wirtschaft zusammenbricht, nur wiedererlangen, wenn er eine Aussicht auf Veränderung bietet. Dies kann er nur tun, indem er die Opposition in die Verfassungsreform einbezieht, deren Grundzüge er noch nicht skizziert hat.

Seine Gegner sind seine Gefangenen, aber ohne sie kann er nichts tun, und genau darin liegt die richtige Lesart dieser Szene.

Seinen Gesprächspartnern soll Alexander Lukaschenko gesagt haben, dass es notwendig sei, „die Dinge in einer breiteren Perspektive zu betrachten“ und dass „die Verfassung nicht auf der Straße geschrieben werden wird“. Dies sagen seine Dienststellen und fügen hinzu, dass „der Inhalt der Diskussion auf Beschluss der Teilnehmer geheim gehalten wird“. Man muss nicht unter dem Tisch gewesen sein, um zu verstehen, dass dieser bedrohte Präsident versucht, einen Keil zwischen die beiden Oppositionen zu treiben, die eine die er ins Exil gezwungen hat und die andere die er im KGB-Gefängnis festhält, aber das Hauptelement ist, dass dieser Mann dorthin gegangen ist, um die Gefangenen um Hilfe zu bitten, seine eigenen, deren Gefangene er gerade offiziell zu dem gemacht hat, was sie sind: politische Gefangene.

Die neue Phase, die am Samstag in Minsk eröffnet wurde, ist eine politische Phase, in der die Repression natürlich weitergeht.

Alexander Lukaschenko wird versuchen, die Glaubwürdigkeit wiederzuerlangen, ohne diese Wladimir Putin ihn wird fallen lassen. Seine Gegner werden sich entscheiden müssen, ob sie ein paar Meter auf ihn zugehen wollen oder nicht. Viel wird von den Bedingungen abhängen, unter denen sie freigelassen werden könnten, da es schwer vorstellbar ist, dass wirklich Verhandlungen zwischen einem Oberwächter und seinen Gefangenen aufgenommen werden.

Mit anderen Worten, nichts ist noch entschieden, aber die Gewissheit ist, dass es zwischen Lukaschenko, den verschiedenen Strömungen der Opposition und diesem unvermeidlichen Akteur im Schatten, Wladimir Putin, mehr denn je nötig sein wird, hin und her zu pendeln, die Angebote zu testen und die Dinge voranzubringen.

Aus diesem Grund drängen mehrere Abgeordnete des Europäischen Parlaments auf die Idee, eine Gute-Dienste-Mission zu bilden, die vom Parlament beauftragt wird und sich aus drei ehemaligen Staats- und Regierungschefs zusammensetzt. Wir sind eine kleine Gruppe, die seit einem Monat aktiv daran arbeitet, und diese ersten Gespräche am Samstag drängen uns, unsere Anstrengungen zu verdoppeln.

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