Man kann sich nicht gleichzeitig spalten und stärken, aber genau das steht der Union bevor. Einerseits wird der ewige Kampf zwischen den beiden Konzepten der europäischen Einheit durch das Urteil des polnischen Verfassungsgerichts über den Vorrang des nationalen Rechts und die zu erwartenden Wirtschaftssanktionen neu entfacht werden.

Viele Europäer werden sagen, dass die polnische Regierung zwar zu Unrecht die Unabhängigkeit der Justiz angegriffen hat, dass sie aber zu Recht argumentiert, dass die Urteile des Europäischen Gerichtshofs nicht im Widerspruch zu den Verfassungen der Mitgliedstaaten stehen dürfen. Dies sei eine Frage der nationalen Souveränität, werden sie erklären, während andere argumentieren werden, dass die von den Mitgliedstaaten unterzeichneten Verträge dem Gerichtshof die Befugnis geben, über das Recht zu entscheiden, und dass man sich seinen Urteilen nicht verweigern kann, ohne außerhalb der Union zu stehen.

In Wirklichkeit hat der Gerichtshof nicht über die Verfassung der Mitgliedstaaten zu entscheiden, sondern über die Übereinstimmung ihrer Politik mit den Bestimmungen der Verträge und der gemeinsam beschlossenen Politik. Die Souveränisten werden also mit viel bösem Willen die juristische Komplexität ausnutzen, um künftige Polemiken anzuheizen, aber jenseits unbegründeter Ängste und falscher Argumente werden sie die Sache des Europas der Nationen gegen die Dynamik einer „immer engeren Union“ verteidigen, wie sie in den Verträgen verankert ist.

Vereinfacht gesagt, ist es die Freihandelszone mit gemeinsamen Regeln gegen den Marsch in die Vereinigten Staaten von Europa, und das polnische Urteil verschleiert damit schlecht die beiden wahren Gründe für das Wiederaufleben dieser Debatte. Erstens wird der Gerichtshof im Laufe der Zeit die Verträge auslegen, Rechtsprechung schaffen und die Rolle des Obersten Gerichtshofs der USA übernehmen müssen, dessen Urteile den Geist des Gesetzes und des gesamten Landes ständig verändern.

Nicht der Kongress, sondern der Oberste Gerichtshof der USA hatte beispielsweise die Abtreibung legalisiert, und die europäischen Konservativen fürchten diese „Regierung der Richter“ wie die Pest, die sich, wie sie zwanghaft behaupten, auf den Grundsatz der Nichtdiskriminierung berufen könnte, um die Zulassung der Homo-Ehe in allen Mitgliedstaaten durchzusetzen. Weil er die Rechtsstaatlichkeit und die damit verbundenen Freiheiten verteidigt, hat die Justiz bei den Konservativen einen sehr schlechten Ruf, und der zweite Grund, warum der Gerichtshof in ihren Augen zu einer zu stürzenden Institution wird, ist die Tatsache, dass sich in der Union jetzt alles ändert.

Weder eine gemeinsame Verteidigung, noch strategische Autonomie, noch eine gemeinsame Forschungs- und Industriepolitik sind mehr ein Tabu. In den Entschließungen der Kommission und des Parlaments wird immer häufiger und unumstritten auf sie Bezug genommen, und es ist eine Tatsache, dass die Union nach dem Gemeinsamen Markt und der einheitlichen Währung eine föderale Ausrichtung annimmt, wofür die Befugnisse des Gerichtshofs das aussagekräftigste Symbol sind.

Die „Regierung der Richter“ wird noch vor der Entwicklung der Verträge und dem Einsatz einer gemeinsamen Verteidigung zur Realität. Auf die Gefahr hin, ein Problem der demokratischen Legitimität zu schaffen, setzt sich der Gerichtshof viel schneller durch als die neuen gemeinsamen Politiken, und dies wird offensichtlich immer mehr Feindseligkeit gegen ihn mobilisieren und der Idee eines Europas der Nationen neue Kraft verleihen, und zwar genau zu dem Zeitpunkt, da die Union, herausgefordert durch China, bedroht durch Russland und vernachlässigt durch die Vereinigten Staaten, dazu neigt, sich allein durch die Notwendigkeit der Ausweitung ihrer gemeinsamen Zuständigkeiten zu föderalisieren.

Mit einem Fuß auf der Bremse und dem anderen auf dem Beschleuinger lässt die Union seinen Motor aufheulen und quietschen, aber, darauf wetten wir, er wird nicht abgewürgt.

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