Am 14. Mai könnte Recep Erdogan die türkischen Präsidentschaftswahlen verloren haben. Das ist zwar nicht sicher, aber seine Abwahl ist ebenso denkbar wie die von Wladimir Putin, wenn die ukrainischen Kräfte morgen wirklich punkten sollten. Vielleicht stehen wir also am Vorabend großer Umwälzungen, aber bereiten wir uns ausreichend darauf vor und können wir das überhaupt einschätzen?

Die Antwort lautet „Nein„, zweimal „Nein„, denn die Türkei ohne Erdogan oder Russland ohne Putin wären so leere Seiten, dass einem schon bei diesen Annahmen schwindelig werden kann. Auf den ersten Blick wäre ein Sieg der von Kemal Kiliçdaroglu angeführten Koalition der türkischen Opposition ein Albtraum für den Kreml und ein Segen für die Ukrainer, die Europäische Union und die USA. Als Mitglied der Atlantischen Allianz würde sich die Türkei ihren westlichen Verbündeten annähern und sich wieder von Moskau distanzieren. Dies ist weitgehend gesichert, doch was sollte die EU nach der Freilassung der türkischen politischen Gefangenen und der Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit in Ankara angesichts der Forderung nach Wiederaufnahme der Beitrittsverhandlungen tun, die eine demokratisierte Türkei zweifellos stellen würde?

Die Verlegenheit der Europäer wäre immens, weil sie bereits nicht wissen, wie sie mit der Ukraine, dem westlichen Balkan, Georgien und Moldawien verfahren sollen, und die Rechten und Rechtsextremen würden die einzige Möglichkeit, dass die Union eines Tages ihre Tore für ein muslimisches Land öffnen könnte, zum Anlass nehmen, sich darüber zu ärgern. Erdogans Türkei bereitet den westlichen Regierungen Kopfzerbrechen, aber eine demokratische Türkei würde ihnen weitaus ernstere Kopfschmerzen bereiten, da sie mit Recht ein neues Zollabkommen mit den 27 Mitgliedstaaten und die Aufnahme von Gesprächen über den türkischen Teil Zyperns und eine gerechtere Aufteilung der Hoheitsgewässer mit Griechenland erwarten könnte.

Wenn der Westen und allen voran die Europäer nicht wollen, dass aus einem Gut ein Böse entsteht, sollten sie sich mit anderen Worten bereithalten, einem Nachfolger Erdogans Vorschläge zu machen, die dieser nicht ablehnen kann, und das Gleiche gilt für Russland.

Niemand weiß heute, wer und unter welchen Umständen die Nachfolge von Wladimir Putin antreten könnte, aber wenn er nach einer Vertiefung seines militärischen Versagens in der Ukraine ersetzt werden sollte, würde sich die Möglichkeit eines gerechten und dauerhaften Friedensvertrags eröffnen. Die Ukraine, die EU und ihre 27 Mitgliedstaaten müssten dann umso mehr bereit sein, die Bedingungen eines solchen Vertrages vorzuschlagen, da die USA stark versucht wären, sich direkt mit Moskau zu einigen.

Vom Status der Krim und Sewastopols im Besonderen bis hin zur Frage der Stellung der russisch-orthodoxen Kirche in Kiew und der russischen Sprache im Donbass – nichts wäre in diesen Verhandlungen einfach, aber der Punkt, von dem alles abhängen würde, wäre der der Sicherheitsgarantien. Auf der einen Seite hätte die Ukraine jedes Recht und jeden Grund, sich für die Aufnahme in das Atlantische Bündnis zu entscheiden. Auf der anderen Seite würde ein Russland, dessen Armee besiegt wurde, auf jeden Fall sein Recht auf die Beibehaltung starker Verteidigungskapazitäten geltend machen, da es auch an seinen östlichen Grenzen keine Verbündeten mehr hätte und eine innere Zersplitterung drohen würde.

Die siegreiche Ukraine und ihre westlichen Unterstützer könnten einem besiegten Russland natürlich alles aufzwingen, was sie wollen, aber damit würden sie nur die Grundlage für neue Konflikte schaffen. Wenn es hingegen darum geht, den Kontinent zu stabilisieren, einen Modus Vivendi zwischen der Europäischen Union und der Russischen Föderation zu definieren und ihre wirtschaftliche Zusammenarbeit zu organisieren, und wenn es auch darum geht, die russischen Eliten davon zu überzeugen, dass sie bei einem Regimewechsel nichts zu verlieren und alles zu gewinnen hätten, sollten die Ukraine und die EU-27 ab sofort an Vorschlägen für gegenseitige Sicherheitsgarantien arbeiten.

Dazu könnten die Reduzierung der Offensivwaffen auf dem Kontinent, die Einrichtung entmilitarisierter Zonen, in denen Manöver verboten sind, und die Suche nach Abkommen gehören, die Russland an die Europäische Union und die Atlantische Allianz binden, Organisationen, denen die Ukraine als Mitglied beigetreten wäre.

Wir müssen Marx widerlegen, der sagte, dass „die Menschheit sich immer nur die Probleme stellt, die sie lösen kann„. Die Union muss pro-aktiv sein und sich beispielsweise darauf vorbereiten, einer neuen Türkei gemeinsame Projekte im Bereich der zivilen und militärischen Industrie sowie gemeinsame Initiativen in der Levante und vor allem im Libanon vorzuschlagen – kurz gesagt, ein neues Modell der schrittweisen Mitgliedschaft, das auf schrittweisen politischen Annäherungen beruht und auch für andere Kandidatenländer gilt.

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