Auszüge aus dem Interview erschienen auf Index.hu von Ágnes Szűcs am 3. Dezember 2019

Der Halbbruder des französischen Star-DJs ist Mitglied im Europäischen Parlament und dessen Buch über Ungarn erschien letzten Frühling. Er ziert von seinen fünfzig Jahren Erfahrung als Journalist, wenn er sagt: die illiberalen Bewegung sind dabei an Aufschwung zu verlieren, da die Politik der sozialen Gerechtigkeit Antworten liefert, die glaubwürdiger sind.

,,Ich bin überrascht wie anders meine ungarischen Freunde sprechen, nach den Kommunalwahlen, im Vergleich als vor ein eineinhalb Jahren, als ich Material für mein Buch sammelte. Damals waren sie apathisch; sie bereiteten sich auf andere fünfzig Jahre Orban vor. Jetzt wirken sie wie wiederbelebt.‘‘ – sagte Bernard Guetta, französisches Mitglied des Europäischen Parlaments (EP), EUrologus.

Der Name ist nicht zufällig vertraut: der Politiker der EP Renew Europe Fraktion ist der Halbbruder des französischen DJ Stars David Guetta. Über das Verhältnis mit seinem Bruder offenbart er nur: ,,Wie lieben uns, aber wir sind wie Tag und Nacht‘‘

Für immer Journalist

Es war auch nach fünfzig Jahren Erfahrung als Journalist, dass er sich entschied sich einer neuen Aufgabe zu widmen: Europapolitik. ,,Ich wollte eine Herausforderung, da ich Artikel mit geschlossenen Augen schreiben konnte.‘‘ Er arbeitete als Korrespondent für die französische Zeitung Le Monde im wichtigen Zeitraum zwischen 1979-1990. Am Anfang des Jahrzehntes berichtete er den französischen Lesern von der Geburt der Solidarnosch Bewegung in Polen, von 1983 berichtete er über das Ende des Kalten Krieges aus Washington und dann, von 1987 schilderte er die sozial-ökonomischen Prozesse, die zum Zusammenbruch der Sowjetunion führten. Ab 1991 war er Teil des Morgenprogramms der France Inter Radio Station.

Her Guetta ist davon überzeugt, dass wir an einer neuen Phase der europäischen Integration angekommen sind. Das ist der Grund, dass er die Einladung einnahm Europaabgeordneter zu werden.

Als sie ihn fragten, ob er Politiker werden wollte, dachte er es gäbe nichts Wichtigeres als die Europäische Einheit. Er dachte auch: ,,Ich werde bald 69 Jahre alt sein, und es klang sehr attraktiv ein drittes Leben anzufangen, und für einen so alten Gentleman, sich um etwas so interessantes zu kümmern.‘‘

Er findet, dass er bereits drei seine Ziele seit Juli erreicht hat: Das EP verlieh Ilham Tohti, dem Menschenrechtsaktivisten, den Sakharov Preis, die Renew Europe frage Guetta ob er einen Bericht zu den Beziehungen zwischen der EU und Russland verfassen wollte und das EP verabschiedete eine Resolution, die die Aggression und Einschüchterung gegen die algerischen religiösen Minderheiten und Zivilgesellschaft verurteilt.

,,Als Journalist war ich ein Einzelgänger, ich musste mich an niemanden richten, ich sagte, was ich sagen wollte. Hier, sage ich auch alles, was ich sagen will, aber ich muss Alliierte finden. Es ist eine überraschende Erfahrung, und schwierig, psychologisch gesehen.‘‘

,,Auf der intellektuellen Ebene war ich immer für die Idee des Kompromisses, aber es selbst zu tun, ist eine ganz andere Sache. Ich mag das nicht so gern.‘‘

– Her Guetta gibt zu, dass er als MdEP genauso arbeitet wie als Journalist. Nicht nur weil er regelmäßig Artikel auf seiner mehrsprachigen Seite publiziert – die auch in Ungarisch zugänglich ist – sondern auch: ‚,Ich rede mit jedem, ich frage nach Meetings, ich frage Sie wie und wieso sie so und so abgestimmt haben. Ich benutze die Waffen eines Journalisten.‘‘

Herr Guetta, der mit ähnlichen politischen Zirkeln in seiner Jugend vertraut war, findet es logisch, dass er der liberal moderaten Renew Fraktion beigetreten ist. ,,Ich habe die moderate und mitte-links politische Ausrichtung mein ganzes Leben unterstützt. Meine Helden sind Pierre Mendès France und Michel Rocard, große Personalien der zweiten französischen Linken. In Renew Europe sitzen immer noch diese Liberalen, die das Erbe des Thatcherismus darstellen, aber sie sind minoritär. Die Mehrheit der Gruppe sind Zentristen, die von den Ideen der skandinavischen Sozialdemokratie geführt werden oder der deutschen sozialen Marktwirtschaft.

Sein Buch über Ungarn liest sich wie ein langer Bericht in einer Qualitätszeitung: er fragt jede Seite, er hört jedem zu, von Zeit zu Zeit rutscht er in seine eigenen Betrachtungen ab, dann interpretiert er subtil was gesagt wurde. Das Resultat ist eine offensichtlich subjektive, aber greifbare, und für einen westlichen Leser, eine leicht verständliche Erklärung über was in Ungarn Ende der 2010er Jahre geschieht. Herr Guetta hört Tamás Lánczi, dem Chefredakteur der regierungsfreundlichen Zeitung Figyelő, zu oder den Ansichten Zsuzsa Hegedűs, einer Soziologin und Beraterin des Premierministers, aber sein Engagement zur liberalen Demokratie verpufft nie.

Der Illiberalismus scheint zu erlahmen

,,Mit einer großen Menge politischem Talent ausgestattet, hat es Orban geschafft die Besonderheiten der ungarischen Lage zu seinem Gunsten zu ändern. Es gibt eine erstaunlich tiefe soziale Unzufriedenheit und das Gefühl, dass die Wirtschaftspolitik nur den Reichen gedient.‘‘ – erzählt er in Brüssel in seinem Buero im Europäischem Parlament. ,,Herr Orban erfand und machte das Wort ‘’Illiberalismus’’ populär und begann hiermit einen Angriff auf den Liberalismus. Er verwechselt hier die Bedeutung des ökonomischen Neoliberalismus und dem politischen Liberalismus und darin liegt die Tragödie‘‘- sagt er. Beides sind Arten des Liberalismus, aber der Neoliberalismus Thatchers der 1980er oder der der Wirtschaftsschule der Chicago Boys, der den Regime Wechsel Ungarns auch inspirierte, ist nicht derselbe wie die wichtigste Idee der französischen Aufklärung: Der Respekt individueller Freiheit.

Die Klimademonstrationen, die zehntausende Menschen mobilisieren erinnern ihn an die Proteste der sechziger Jahre. ,,Nicht deren Inhalt, sondern deren Format: Ein Protest, der durch den ganzen Kontinent durchdringt. Damals brachte die Revolution uns die Erlösung der Regeln der Schule, der Familie und der Kirche. Jetzt befreit sie uns von Ungleichheit. Sie stärkt die Nachfrage nach einer Rolle des Staates, eines Staates der Gerechtigkeit zum Kampf des Kapitals gegen die Arbeiter bringt und ein Regelnetzwerk bildet, was zukunftsträchtig ist.‘‘ schätzt der Politiker.

Herr Guetta behauptet:

Diese Welle wird den Illiberalismus auslöschen, da sie viel glaubwürdiger und stärker ist und dem Zeitgeist entspricht.‘‘

Er schließt nicht die Möglichkeit aus, dass sich sogar Orbán und Kaczyński verändern werden. ‚, Umso mehr weil Kaczyński ein ehrlicher Mann ist. Orban ist anders, natürlich. Er ist ein Zyniker.‘‘ Die Meinung des Publizisten über Orban ist schmeichelhaft und kritisch zur gleichen Zeit: ‚,Er ist ein autokratischer Leader, der keinen Einwand zu seinen Regeln erlaubt und der seiner mentalen Überlegenheit sehr sicher ist. Das ist wahr, aber nur bis zu einem Punkt.‘‘

Macron und Orban reichen sich die Hände

Während seiner Recherche in Budapest, suchte Herr Guetta nach einer Antwort zur folgenden Frage: Wie ist es möglich, dass der ungarische Premier Minister mit Macron für eine europäische Verteidigung übereinstimmt? Sogar Orbans Befürworter konnten den Widerspruch, dass eine gemeinsame Verteidigung auch Föderalisierung bedeutet, nicht erklären. Herr Guetta denkt, dass die Erklärung in der Tatsache liegt, dass ‚,Herr Orban ein zynischer Demagoge ist, der dennoch die Notwendigkeiten der internationalen Politik versteht.‘‘

Laut dem Europaabgeordneten ,,Herr Trump sagt grob und manchmal auf lächerliche Art, was Obama freundlich und mit Stil sagte’’, aber am Ende ist die Nachricht dieselbe: Es ist nicht im vitalem Interesse der USA Europas Sicherheit zu garantieren während die amerikanische öffentliche Meinung müde vom amerikanischem Interventionismus wurde und sie nur ihre wirtschaftlichen Interessen im fernen Osten absichern wollen.

Er glaubt, dass die nationalistischen, anti-Brüssel Aussagen des Ungarischen Premierministers die echte Essenz der Demagogie sind.

,,Er glaubt kein einziges Wort von dem was er sagt. Das einzige was ihm anspornt sind seine politischen Interessen in Ungarn. Zur gleichen Zeit ist er ein sehr cleverer Mann, der einsieht, dass Amerikas protektiver Schirm zum Ende neigt, und, dass die Europäischen Staaten wirklich eine gemeinsame Verteidigungspolitik brauchen. Nicht nur die kleinen Staaten, Frankreich und Deutschland brauchen das auch.‘‘

In der dritten Phase der europäischen Integration – die erste war die Phase vor der Einführung des Euros, die zweite war die Ära des Euros – ,, obwohl er die neue Sowjetunion und die Diktate aus Brüssel verurteilt‘‘ wird Orban von deren Notwendigkeit zur Kenntnis kommen. Der Politiker gibt zu: Es ist eine paradoxe Situation in der Orban Macron in der Verteidigungspolitik unterstützt, aber die Unterstützung Deutschlands für dieses Vorhaben ist umso verblüffender, da die Deutschen nach dem zweiten Weltkrieg und dem dritten Reich Pazifisten geworden sind. Sie wollten keine richtige Deutsche Armee aufbauen und daher wollten sie bis jetzt keine europäische Verteidigungspolitik.

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