Nein, die Union ist nicht im Verderben. Im Gegenteil, inmitten der Riffe, gegen den Wind, nimmt sie neue Ufer in Angriff, auf der Suche nach ihrer politischen Einheit, nachdem sie den gemeinsamen Markt geschaffen und die gemeinsame Währung eingeführt hat. Die Union tritt nun in die dritte Phase ihrer Geschichte ein, die schwierigste von allen. Deshalb wackelt alles und wird weiter wackeln, aber es ist falsch, einen Schiffbruch vorherzusagen, anstatt die Verheißung neuer Welten zu sehen.
Lassen Sie uns also weitermachen. Die Kommission hat große Fehler bei der Impfung von etwa 450 Millionen europäischen Bürgern gemacht. Das ist nur allzu wahr, aber wer erinnert sich schon daran, dass die Verträge die Gesundheitspolitik nicht zu einer gemeinsamen Zuständigkeit machen, dass die Souveränisten und andere Verfechter nationaler Vorrechte und Partikularismen dies nicht akzeptiert hätten, dass die gemeinsamen Institutionen überhaupt nicht bereit waren, eine solche Herausforderung anzunehmen, dass sie es dennoch taten und dass ihre beiden großen Fehler paradoxerweise alle zu ihren Gunsten sind, da sie sich weigerten, den Laboratorien extravagante Preise zu zahlen und sie von jeder gesundheitliche Verantwortung zu befreien?
Diese Tugend ist uns teuer zu stehen gekommen, aber dank der gruppierten Einkäufe haben wir ein Chaos ganz anderer Dimension vermieden als die Verzögerungen, unter denen wir heute leiden. Es ist das Fehlen gemeinsamer Verhandlungen, das die europäische Einheit wirklich bedroht hätte, und was den „Sofagate“ betrifft, diese Affäre um die türkischen Sessel, wie kann man da übersehen, dass das Grundproblem die Überlastung der Präsidenten ist, unter der die Union leidet, weil ihre Institutionen der wachsenden Unermesslichkeit ihrer Aufgaben nicht mehr gewachsen sind?
Hören wir also auf, lieber die Unfälle auf dem Weg zu sehen, wie schwerwiegend sie auch sein mögen, als die neuen, die die Union bahnt, und hören wir vor allem auf, die Beweise für die Revolution zu leugnen, die im Parlament, im Rat und in der Kommission im Gange ist.
Es gibt nicht nur keine Tabus mehr bei der gemeinsamen Verteidigung, der europäischen Souveränität und der gemeinsamen Industriepolitik, sondern die Pandemie hat das Dogma der europäischen Verweigerung von gemeinsamen Schulden untergraben.
Noch vor den Vereinigten Staaten hat die Europäische Union das Blatt von vierzig Jahren Reagan-Thatcherismus gewendet. Im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten hat sie dies getan, ohne es bisher anzukündigen und mit unerträglichen Verfahrensverzögerungen, aber Tatsache ist, dass sie begonnen hat, gemeinsam Kredite aufzunehmen, um gemeinsam in technologische Innovation und die Energiewende zu investieren.
Die Union wird zu einer öffentlichen Macht. Dies ist eine solche Veränderung, dass ihre Institutionen nicht mehr ohne weiteres für diese Revolution geeignet sind. Das ist der wesentliche Grund, warum ihre Funktionsweise ins Stocken geraten ist, aber die Ankündigung ihres Todes ist zumindest verfrüht.
