Und jetzt? Jetzt, nachdem sich Frankreich, Deutschland, die Europäische Kommission und so viele Hauptstädte der Union zu den Prinzipien der gemeinsamen Kreditaufnahme und der Bündelung von Investitionen zur Bewältigung dieser Krise bekannt haben, bleibt nur noch die Aushandlung eines Kompromisses mit den Mitgliedstaaten, die sich am stärksten für einen ausgeglichenen Haushalt einsetzen, um Einstimmigkeit zu erzielen und diese Maßnahmen zu ergreifen, was ist die nächste Etappe?
Es wird natürlich darum gehen, diese gemeinsamen Investitionen zu definieren, die wir gemeinsam finanzieren wollen, um unsere Volkswirtschaften anzukurbeln und den Anstieg der Arbeitslosigkeit zu stoppen, aber alle sind der Meinung, dass wir zur gleichen Zeit auch… Wie soll ich sagen?
Das Wort „Programm“ wäre viel zu stark, denn jenseits des sich abzeichnenden Konsens um die Vorschläge Frankreichs, Deutschlands, des Europäischen Parlaments und der Kommission gibt es glücklicherweise, selbst im Limbus, keine einzige oder gar dominante Partei in Europa. Es gibt Linke, Rechte, Grüne und Zentristen, die nicht die gleichen Ambitionen haben. Diese Vielfalt ist ein politischer Reichtum, der mit Sicherheit nicht verschwinden wird. Es ist in der Tat ein Vorteil, den wir Unrecht hätten uns vorzuenthalten. Es gibt also ebenso wenig einen Grund wie die Möglichkeit, die europäischen politischen Kräfte mit einer gemeinsamen Agenda auszustatten, aber gleichzeitig ist es eine Tatsache, dass wir alle, wir europäischen Bürgerinnen und Bürger, auf allen Ebenen, in allen Strömungen, in jedem Land, das Bedürfnis haben zu wissen, was uns in der von den Auswirkungen dieser Pandemie geprägten politischen Landschaft eint und trennt.
Also, erinnern wir uns. Der Krieg hatte uns ein Europa hinterlassen, das wir wieder aufbauen und gegen die UdSSR verteidigen mussten. Aus dieser Notwendigkeit heraus entstand der Nachkriegskonsens über Sozialpolitik, Industriepolitik und den gemeinsamen Binnenmarkt. Schon der Erfolg der glorreichen Dreißiger, zusammen mit dem Anstieg der Rohstoffpreise und der allmählichen Implosion des Sowjetsystems, hatte den Weg in eine neue Ära geöffnet. Rund vierzig Jahre lang, von der ersten Wahl Margaret Thatchers bis zu den ersten Todesfällen in Wuhan, definierte der „Washingtoner Konsens“ die Politik der fünf Kontinente, indem er festlegte, dass der Staat nicht die Lösung, sondern das Problem sei, dass zu hohe Steuern die Steuereinnahmen töteten und dass die Entwicklung des Freihandels die Demokratie mit sich brachte.
Wie Breschnews UdSSR hatte dieser Neoliberalismus schon lange vor seinem Zusammenbruch Anzeichen dafür gezeigt, dass ihm die Kraft ausgeht, aber in den letzten drei Monaten ist es endgültig der Fall. Der Staat wird wieder einmal zur Lösung. Die Staatsverschuldung ist nicht mehr das Erbe, das wir unseren Kindern nicht hinterlassen sollten, sondern das unvermeidliche Instrument zur Rettung ihrer Arbeitsplätze. Wir treten in eine dritte Ära ein, deren krassestes Zeichen der Verzicht Deutschlands auf ihre ‘’Schwarze Null’’ ist.
Nach der langen Dominanz von Adam Smith ist Keynes zurück, aber wo stehen unsere politischen Kräfte und über welche Ziele sind sie sich einig?
Das ist es, was wir heute verstehen, sagen und wissen müssen, denn so wie es nutzlos und sinnlos wäre, ein gemeinsames Programm der großen europäischen Parteien anzustreben, so müssen wir diesen „Brüsseler Konsens“ definieren, der jetzt den Washingtoner Konsens ersetzt und die Welt ebenso gut erobern könnte wie gestern noch der Thatcherismus.
Also lesen wir, beobachten wir, hören wir zu. Nicht alle haben die gleiche Vorstellung vom Tempo, mit dem wir zu einem neuen Industriemodell übergehen sollten, aber außerhalb der verwirrenden und vernachlässigbaren Spielräume sind sich alle über die Notwendigkeit einer Energiewende zur Begrenzung der globalen Erderwärmung einig. Dieser erste Konsenspunkt ist so real, dass sich alle Vorschläge der Kommission bereits vor der Pandemie auf ihren ‘’Green Deal“, einen Grünen Pakt, stützten, dessen Idee das Parlament mit überwältigender Mehrheit befürwortet hatte.
Der zweite Punkt des Brüsseler Konsenses ist, dass wir unsere Ressourcen auf eine konzertierte Anstrengung in der industriellen Forschung und Modernisierung konzentrieren müssen, mit anderen Worten auf eine gemeinsame Industriepolitik, die in diesem Fall darauf abzielt, den Wendepunkt der künstlichen Intelligenz nicht zu verpassen.
Der dritte Punkt dieses Konsens ist, dass wir uns in strategischen Bereichen nicht mehr auf eine internationale Arbeitsteilung verlassen können und dass die Europäische Union, wie China und die Vereinigten Staaten, eine industrielle Souveränität anstreben muss, die sie vor externer Abhängigkeit schützt.
Der vierte Punkt dieses Konsenses besteht darin, dass die Union, wie die Vereinigten Staaten und China, über die Mittel zur politischen Souveränität verfügen muss, d.h. über eine gemeinsame Verteidigung und Diplomatie. Schwarz auf weiß in den deutsch-französischen Vorschlägen und zwischen den Zeilen in den Kommissionsvorschlägen ist der fünfte Punkt dieses Konsenses, dass die Mitgliedstaaten der Union bei der Harmonisierung ihrer Steuer- und Sozialpolitik nicht länger zögern dürfen.
Was den sechsten Punkt dieses Konsens betrifft, ist es – wie wir wissen – an der Zeit, dass die Union sich nicht länger weigern darf, gemeinsame Schulden aufzunehmen, da es nicht darum geht, Schulden zu vergemeinschaften, sondern in die Zukunft zu investieren, wenn die thatcherianische Seite umgeschlagen und eine andere geöffnet wurde: die des Brüsseler Konsens.
Man kann es also klar erkennen. So sehr man sich in diesen sechs Punkten einig ist, so sehr gibt es auch Meinungsverschiedenheiten darüber, was die gemeinsame Verteidigung, der Green Deal, die Industriepolitik oder die Beziehungen zu China oder Russland sein sollten. Es gibt keine dominierende Partei in der Union, aber der Konsens, der sich herausbildet, ist so wesentlich, innovativ und zukunftsweisend, dass es dringend notwendig ist, den Europäern zu sagen, dass sie sich nicht im Nebel verirren sollten, sondern sich im Gegenteil auf einen gemeinsamen Horizont zubewegen müssen und, dass der Brüsseler Konsens zwischen zwei Dritteln und vier Fünftel ihrer politischen Kräfte zusammenbringt – eine mehr als qualifizierte Mehrheit.