Was das Atlantische Bündnis betrifft, wissen wir Bescheid. Mit dem Einmarsch in die Ukraine gelang Wladimir Putin das Kunststück, Schweden und Finnland für die NATO zu gewinnen und eines Tages auch die Ukraine in die NATO aufzunehmen. Aber was ist mit seinem anderen Gegner, der Europäischen Union, die er so sehr verachtete und deren Schwäche er demonstrieren und sie auseinanderbringen wollte?

Nun, der russische Präsident vollbringt das Wunder, aus der Union eine politische Union zu machen, und um sich davon zu überzeugen, genügt es, die Rede zu lesen, die der polnische Premierminister soeben an der Universität Heidelberg gehalten hat. Lassen Sie mich eines klarstellen. Es ist nicht nur so, dass die Union dank Wladimir Putin um die Ukraine, Moldawien, den westlichen Balkan und wahrscheinlich auch Georgien erweitert wird und dass diese Länder sich nach und nach an ihren Maßnahmen, Investitionen und Regeln beteiligen werden.

Allein diese neue Erweiterung wird das demografische, wirtschaftliche und militärische Gewicht der Union erheblich steigern, ihre Anziehungskraft mit einem Wort. Dies ist natürlich einer der Punkte, die Mateusz Morawiecki in seiner Rede in Heidelberg hervorhebt, denn alle Nachfolgestaaten des Ostblocks wollen den imperialen Neugründungsträumen von Wladimir Putin so schnell wie möglich eine möglichst breite Front entgegensetzen. Das war schon immer ihr Wunsch, schon vor dem 24. Februar, aber heute kommt eine absolute Neuheit hinzu, da der Premierminister im gleichen Atemzug und mit ebenso viel Nachdruck auch für eine europäische Verteidigung plädierte.

Er sagte, dass wir, während wir „die NATO stärken und ausbauen müssen, gleichzeitig unsere eigenen Verteidigungskapazitäten aufbauen müssen“. Die polnische Führung gab dies zwar immer deutlicher zu, seit der Präsidentschaftskandidat und Präsident Donald Trump die Atlantische Allianz angegriffen hatten, aber noch nie hatte ein hochrangiger Politiker öffentlich so deutlich gemacht, dass Europa in der Lage sein müsse, sich selbst zu verteidigen, wenn es dies tun müsse.

„Ich wünsche mir“, sagte der Premierminister, „dass die Länder Europas über genügend militärische Stärke verfügen, um im Falle eines Angriffs keine Hilfe von außen zu benötigen und anderen militärische Hilfe leisten zu können. Das ist heute nicht der Fall, (da) ohne amerikanische Beteiligung die Ukraine nicht mehr existieren würde und der Kreml zum nächsten Opfer übergegangen wäre“.

Auf Französisch heißt das „strategische Autonomie“, aber auch wenn Mateusz Morawiecki diese Worte nicht aussprach, so teilte er doch so sehr deren Geist, dass er sogar so weit ging, zu fordern, dass die Militärausgaben der Mitgliedstaaten auf die Berechnung der Haushaltsdefizite angerechnet werden, d. h. auf die 3%-Grenze, die durch die Maastricht-Kriterien festgelegt ist.

Es wurde nicht oft genug betont: Polen und Frankreich stimmen nun in den wesentlichen Punkten überein, die die Union zu einer politischen Union machen werden. Man hat es nicht genug gehört, nicht genug gesagt: Polen hat sich voll und ganz der Notwendigkeit einer europäischen Verteidigung angeschlossen, die nun auf dem Weg ist, in der Union einstimmig beschlossen zu werden, aber warum stößt diese so grundlegende und entscheidende Entwicklung auf so großes Schweigen?

Der Grund dafür ist, dass die regierende polnische Rechte so tief reaktionär ist, dass sie sehr unbeliebt geworden ist, und dass ihr Premierminister in Heidelberg lange darauf bestanden hat, dass er jede weitere föderale Entwicklung der Union ablehnt. Im Gegenteil, er wollte die gemeinsamen Kompetenzbereiche reduzieren und plädierte leidenschaftlich für ein Europa der Nationen, in dem weiterhin Einstimmigkeit herrschen sollte.

Seine Vorstellung von Europa war weder die von Paris noch die von Berlin, aber sollte man sich deswegen Sorgen machen und einen beginnenden Zerfall der Union anprangern oder umgekehrt die Dynamik sehen, in die Wladimir Putin Polen einbindet und die ihn dazu bringt, für sie zu plädieren?

Sobald das winzige Estland, das von den 27 Staaten der Union am meisten auf den Fortbestand des amerikanischen Schutzschirms vertrauen müsste, die Mitgliedstaaten dazu aufruft, gemeinsam Munition zu kaufen, sobald es erhört wird, die Union sich gemeinsam aus gemeinsamen Budgets bewaffnet, sie bei der Unterstützung der Ukraine an einem Strang zieht und Polen parallel dazu seine 26 Partner auffordert, sich eine gemeinsame Verteidigung zuzulegen, marschieren wir de facto in Richtung einer politischen Union.

Wir sagen es nicht. Wir tun es, und unsere Meinungsverschiedenheiten darüber, wie viel Föderalismus wir erreichen sollten, wie schnell, wie lange und in welchen Bereichen, sind in diesem Fall völlig nebensächlich. Sie werden eines Tages wichtig sein. Diese Debatte wird wieder wichtig werden, wenn wir eine gemeinsame Verteidigung, eine gesamteuropäische Rüstungsindustrie und damit eine gemeinsame Forschung und Industriepolitik haben. An diesem Tag wird es notwendig und an der Zeit sein, uns zu fragen, wer weiter gehen will, wie schnell und ob es notwendig ist, dass wir uns alle auf neue Kapitel einigen oder nicht, aber im Moment sind die Aufgaben, bei denen wir übereinstimmen, schwer genug, dass wir unsere ganze Kraft darauf verwenden und die Debatten von morgen auf später vertagen sollten.

Diese Heidelberger Rede markiert einen Wendepunkt. Deutschland und Spanien, Frankreich und Italien, die Benelux-Staaten und die Skandinavier, Griechenland und Portugal, Rumänien, die Tschechische Republik und ganz Mitteleuropa müssen so schnell wie möglich darauf reagieren, warmherzig, positiv, indem sie sich auf das Wesentliche konzentrieren und Polen beim Wort nehmen.

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