Gastbeitrag, veröffentlicht im JDD am 11. April 2020

Thomas Friang, Gründer und Generaldirektor des Open Diplomacy Institute, Nathalie Loiseau, MdEP, und etwa 15 weitere Unterzeichner rufen in diesem Gastbeitrag dazu auf, „für den Tag nach der Epidemie zu planen“.

Die Welt wird nie mehr dieselbe sein. Die Coronavirus-Pandemie ist ein internationaler ‘’Game Changer’’. Total. Radikal. Zum einen traumatisiert sie uns. Im wahrsten Sinne des Wortes: Individuell und kollektiv bringt sie uns zur Verwundbarkeit und zum Tode unserer Nahestehenden. Jeden Tag leben immer mehr von uns in Isolation oder verlieren jemanden, der uns nahe steht, ohne sich verabschieden zu können. Es ist der französische Geisteszustand, der so gesellig ist, der direkt betroffen ist.

Weil sie die Wirtschaft zu einem plötzlichen Stillstand gebracht hat. Die Menschheit wurde isoliert, die Produktion wurde eingestellt, und wir sind verarmt. Sofort. Dies ist der Zustand der Welt, der durch diese Situation völlig umgestaltet werden wird. Weil die sozialen Folgen schrecklich sind. In den Industrieländern muss heute mehr als jeder zweite Arbeitnehmer durch den Staat versorgt werden. Um damit fertig zu werden, muss der Sozialstaat neu überdacht werden.

Weil unsere individuellen Freiheiten Gefahr laufen, Kollateralopfer der Pandemie zu werden. Autoritäre Regime behaupten sich als Verfechter des Krisenmanagements, während einige Demokratien im Schatten stehen. Es ist die Rechtsstaatlichkeit, die in die Hand genommen werden muss. Schließlich, weil die Pandemie die Klimakrise in keiner Weise auslöscht. Glücklicherweise verbrennen wir unseren Kohlenstoffhaushalt langsamer als üblich. Aber wenn die zukünftigen Investitionen nicht grün sind, dann werden es die Letzten sein. Im Grunde ist es der strategische, grundsätzlich ökologische Staat, der wieder aufgebaut werden muss.

An den Herausforderung des Moments hat sich nicht geändert: Was in erster Linie zählt, ist Leben zu retten. Zu Hause bleiben. Krankenhausbetten aufzusparen. Die Entwicklung eines Heilmittels und eines Impfstoffs. Aber schon bald werden wir eine zweite Herausforderung haben: an die Welt danach zu denken. Es wird ebenso viel Mut erfordern, denn wenn der intellektuelle Bankrott auf die Vernachlässigung des Gesundheitswesens folgt, dann haben wir alles verloren.

Eine Sache, über die wir uns freuen sollten, ist, dass die Franzosen, obwohl sie die Terrassen ihrer Cafés nur langsam verließen, schnell mit Ideen in die Debatte einsteigen. Viele Termine werden uns bereits gegeben, damit wir für den Tag danach planen können. Wir sind jedoch davon überzeugt, dass wir im Vorfeld einige Verpflichtungen eingehen müssen.

Sich zur Demut verpflichten. Heute müssen wir akzeptieren, dass wir am besten helfen können, wenn wir zu Hause bleiben. Gewissenhaft. Morgen müssen wir mit der gleichen Bescheidenheit zugeben, dass der beste Weg zur Hilfe darin besteht, die ausgetretenen Pfade zu verlassen. Heftig. Um uns die Welt danach vorzustellen, müssen wir uns zwingen, neue politische Wege einzuschlagen, unsere parteiischen Gewohnheiten zu überwinden, bestimmte intellektuelle Grenzen zu überschreiten. Kurz gesagt, phantasievoll zu sein. Demütig.

Sich zur Harmonie verpflichten. Das letzte Mal, als Frankreich sich zum Wiederaufbau des Landes verpflichtete, begann es damit, das Land zusammenzuführen. Der Erfolg von 1945 war der Erfolg des Nationalen Widerstandsrats. Es ist der Erfolg aller Franzosen. Um an die Welt danach zu denken, bräuchten wir heute einen Nationalen Rat für Widerstandsfähigkeit. Lassen wir in der Zwischenzeit zu, dass neue Stimmen, unerwartete Ideen, unerwartete Muster entstehen. Wir werden unseren Beitrag dazu leisten, wohl wissend, dass wir schnell die Kräfte zusammenbringen müssen, die gebraucht werden. Gemeinsam die Welt danach aufbauen.

Um die Pandemie zu überwinden, haben wir zwei Verpflichtungen. Fantasievoll, bescheiden und radikal zu sein. Eine Nation werden und Europa verändern. Völlig und aufrichtig.

Die Unterzeichner:

Thomas Friang (Gründer und Generaldirektor des Open Diplomacy Institute); Nathalie Loiseau (ehemalige Ministerin, Mitglied des Europäischen Parlaments und Vorsitzende des Unterausschusses für Sicherheit und Verteidigung); Pierre Larrouturou (Mitglied des Europäischen Parlaments und Berichterstatter für den EU-Haushalt); Françoise Cartron (Senatorin); Michel Duclos (Botschafter); Annick Cizel (Professorin an der Sorbonne-Nouvelle); Richard Yung (Senator); Sébastien Maillard (Direktor des Jacques-Delors-Instituts); Bernard Guetta (Mitglied des Europäischen Parlaments); Alexandra Lesur (Chefredakteurin von touteleurope.eu); Xavier Timbeau (Direktor des OFCE); Caroline Janvier (Abgeordnete); Hamza Maata (Bankdirektor); ;Maxime Batandéo (Produktmanager); Georges Dib (Wirtschaftswissenschaftler); Anaïs Voy-Gillis (Geopolitologin).

Der Gastbeitrag im JDD

https://www.lejdd.fr/Societe/tribune-pour-imaginer-le-monde-dapres-il-faudra-explorer-de-nouvelles-voies-politiques-3961277

Print Friendly, PDF & Email

English Français Magyar Polski